Donnerstag, 26. Januar 2017

Rückung? Eher selten.

Liebe Leser,

eine kurze Betrachtung zu einer im Jazz wirklich häufig auftretenden Akkordverbindung:
/ Emin7 / A7 / Dmin7 / G7 /

Oder natürlich Entsprechendes in anderen Tonarten.

Zum Beispiel in Charlie Parkers "Yardbird Suite":





Sobald man sich etwas eingehender mit dem Solieren über Jazzstandards befasst, wird einem die Bedeutung der ii-V-Verbindungen bewusst. Die Mehrzahl der Songs des Great American Songbooks besteht ja quasi ausschließlich aus solchen, etwas überspitzt formuliert. Und schnell lernt man, da es ja von allen Autoritäten gefordert wird, ii-V-Verbindungen zu erkennen und auch zu spielen, traditionell dorisch-mixolydisch. Im Fall von Dmin7 - G7 also D-dorisch - G-mixolydisch, was Tönen aus der zugehörigen Basistonart C-Dur entspricht.

Finden wir nun in einem Song mehrere unterschiedliche ii-V-Verbindungen hintereinander, wie zum Beispiel in folgendem Auszug aus "Blues For Alice" (wieder Charlie Parker),





setzt schon ein Automatismus ein. Bb-Dorisch - Eb-mixolydisch, A-dorisch - D-mixolydisch usw. Das ist in diesem Song übrigens durchaus passend, wenn man nicht permanent "out" über die Changes dudeln möchte. Solche Schieberei bezeichnet man unter Jazzern als "Rückung", da das jeweilige tonale Zentrum (die Tonika) immer unmittelbar verschoben wird. In der (klassischen) Harmonielehre wird der Begriff natürlich noch wesentlich komplizierter definiert, aber Ihr wisst zumindest, was gemeint ist, wenn ein Jazzmusikerkollege von "Rückung" spricht.

Für unsere Passage in "Yardbird Suite" würde das bedeuten, wir spielen über die rot markierte Passage

E-dorisch - A-mixolydisch - D-dorisch - G-mixolydisch

Und gerade dies trifft es meiner Meinung nach in diesem Fall nicht wirklich!

Zunächst ist festzuhalten, dass der Song gemäß der (nicht vorhandenen) Vorzeichen in der Tonart C-Dur steht. Und ich persönlich bevorzuge es immer, insbesondere wenn es sich um "alte" Songs handelt, jedwede vorkommende Verbindung funktional in Zusammenhang mit der Basistonart zu bringen. So sind zwar die Akkorde Fmin7 und Bb7 in Takt 2 zwar aus Eb-Dur entnommen (ein sogenannter Modal Interchange, was noch an anderer Stelle besprochen wird), haben aber in C-Dur durchaus eine Funktion. Das Fmin7 ist eine vermollte Subdominante, das Bb7 die Doppelmollsubdominate zur Tonika C-Dur (oft auch C6 oder Cmaj7 notiert).

Mit dem Einsatz von funktionsharmonischen Elementen lässt sich dann auch die Passage in Takt 7 und 8 besser erklären, als mit einer dubiosen Rückung. Zumal drei der vier Akkorde ohnehin direkt aus C-Dur entnommen sind, nämlich Emin7 (iii. Stufe), Dmin7 (ii) und G7 (V). Verbleibt nur noch A7. Stände dort stattdessen Amin7, wäre die ganze Verbindung eine iii-vi-ii-V in C-Dur und gut. Jetzt nur zu fabulieren, dass A7 eben die vi. Stufe als Septakkord darstellt, ist zwar richtig, hilft aber nicht weiter. Besser ist es, einen Begriff aus der Funktionsharmonik für das A7 einzuführen. A7 arbeitet an dieser Stelle als Zwischendominante (ZD).

Eine ZD ist quasi eine private Dominante für einen üblicherweise folgenden (ist aber nicht zwingend, manchmal fehlt dieser auch) Akkord, unabhängig von der aktuellen Tonart. Kleines (frei erfundenes) Beispiel:

/ Cmaj / Fmaj7 / E7 / Amin7 /

Alle Akkorde bis auf E7 (was ja eigentlich ein Emin7 sein müsste) stammen aus C-Dur. Das E7 hat in dieser Verbindung eindeutig die Funktion, das Amin7 über eine Dominante einzuleiten. Da ja eigentlich in C-Dur G7 die einzige Dominante ist, hat sich mit dem Eintreten des Amin7 die Aufgabe des E7 erledigt, es war eben nur eine Zwischendominante. ZD gibt es für maj7-, min7- und 7-Akkorde, für die per se instabilen min7/b5-Akkorde meines Wissens eher nicht.

Um mir mein Leben nicht unnötig zu verkomplizieren, spiele ich über Dominanten und Zwischendominanten, die zu einem Durakkord führen, mixolydisch, über solche, die zu einem Mollakkord führen, HM5. Das ist keine perfekte Lösung (zum Beispiel bei einer 7/#9/b13-Dominate schieße ich mit HM5 knapp an der #9 vorbei... pardon, das führt jetzt etwas zu weit), taugt aber für die meisten Sessions.

Unsere Passage / Emin7 A7 / Dmin7 G7 / aus "Yardbird Suite" ist also mit ii-V (in D-Dur) plus ii-V (in C-Dur) unzureichend beschrieben und somit durch zwei Mal dorisch-mixolydisch auch nicht richtig gespielt. Es handelt sich vielmehr um eine iii-V/ii-ii-V Verbindung in C-Dur, wobei das V/ii für "die Fünf zur Zwei" steht, also für die Zwischendomiante A7 auf die ii. Stufe Dmin7.

Die Skalen hierfür sind also
/ E-phrygisch A-HM5 (= D-Harmonisch-Moll) / D-dorisch G-mixolydisch /

In den Affengeschwindigkeiten, in denen üblicherweise Yardbird Suite zum Besten gegeben wird, ist

/ E-dorisch A-mixolydisch / D-dorisch G-mixolydisch /

sicherlich machbar und wird auch oft gespielt, aber es ist meiner Meinung nach nicht die erste Wahl.

Viel Spaß beim Ausprobieren, bis bald

Euer

Gige

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